Nachdenken und neu angreifen

Von Bianka Müller

Vor knapp zwei Wochen meldete der Burger VC 99 Mission erfüllt. In einem wahren Herzschlagfinale hat der Volleyball-Regionalligist den Klassenerhalt am letzten Spieltag perfekt gemacht. Was bleibt also von der ersten vollständigen Saison nach dem Aufstieg und warum ist die Sommerpause eigentlich gar keine?

Irgendwann ist auch der letzte Jubel mit dem Team sowie den Fans verklungen. Das Licht in der Täte-Schur-Halle war längst erloschen und die Kabinen ausgefegt. Da erkannte der harte Kern der Feierwütigen, dass aus dem angebrochenen Sonntagabend noch mehr herauszuholen war. Und welch programmatischeren Namen konnte die gastronomische Einrichtung, in der die Burger den Klassenerhalt begießen wollten, Bitteschön tragen als den des „Nachdenkers“ in Magdeburg-Stadtfeld?

Hinter dem BVC liegt ein in jeder Hinsicht denkwürdiges zweites Regionalliga-Jahr, dass alle Beteiligten erst einmal sacken lassen müssen. Mindestens noch die nächsten vier Wochen. Dann richtet sich der Blick nämlich schon wieder auf den Herbst voraus, wenn die 99er in ihre dritte Spielzeit nach dem Aufstieg 2020 starten.

Carsten Graßhoff wird dann Ende Mai ebenfalls wieder auf dem Beachvolleyballfeld im Magdeburger Stadtpark aufschlagen. Der Burger Libero zählt allerdings auch zu jenen, die „aktuell froh sind, in nächster Zeit die Hallenschuhe nicht hervorholen zu müssen“. Die zurückliegenden 8 Monate zählten ohne Frage zu den intensivsten und nervenaufreibendsten in der 23-jährigen Vereinsgeschichte. Angefangen bei der Tabellenführung nach dem 3:1 – Derbysieg in Halle am 1. Spieltag bis hin zum letzten der 20 Spielwochenenden liegt eine sportliche und emotionale Achterbahnfahrt hinter Verein und Fans. „Dabei hätten wir uns die letzten Wochen auch erheblich leichter machen können, spielt Graßhoff auf die vergebenen „Matchbälle“ bei der SG Rotation Prenzlauer Berg und im Rückspiel gegen Halle an. „So aber lief alles auf den Showdown gegen Cottbus hinaus.“

Im besagten Duell, dass coronabedingt um zwei Wochen nach hinten verlegt wurde, gab es schließlich vor 14 Tagen das erhoffte Happy-End mit dem 3.2 (20, -22, 21, -21, 10)-Heimsieg. Dieser ließ den BVC 99 die Klasse halten und stürzte die Lausitzer in die Brandenburgliga. Selten wurde die Ambivalenz der Gefühle in dieser Spielzeit deutlicher als nach eineinhalb Stunden Spielzeit: Mit der 2:1 Satzführung hatten die Burger jenen einen Punkt sicher, der zum Ligaverbleib gefehlt hatte. „In diesem Moment ist ein unfassbarer Druck von uns gefallen. Ich habe bewusst in die Gesichter der Mitspieler geschaut und der ein oder andere musste schon ein Tranchen verdrücken. Es war eine sehr emotionale Angelegenheit“, erinnert sich der BVC-Libero.

Danach ging es für die Seinen allerdings um mehr als bloßes Schaulaufen. Nachdem sich die Cottbuser im vierten Abschnitt noch einmal gegen das Unvermeidliche stemmten, „stand für uns außer Frage, dass wir noch einmal Vollgas geben und den fünften Satz für uns entscheiden. Diesen Sieg wollten wir all unseren Unterstützern noch schenken.“ Und die Halle hatte noch einmal Grund, sämtliche Stimmungsregister zu ziehen. Nach 2:01 Stunden Spielzeit schlug der Matchball von Till Räcke im Feld des CVV ein, der Erfolg im Tiebreak war geglückt.

Wie so oft in dieser Saison war es ein Erfolg der Vielen. Dies wurde allen voran im vierten Satz deutlich, den die Burger fast schon traditionsgemäß zum Durchwechseln nutzten. Brijan Beck zog fortan im Zuspiel die Fäden, Youngster Arne Brendel sammelte weitere Minuten auf der persönlichen Regionalliga-Uhr. Nicht nur Graßhoff ist daher klar, dass der Klassenerhalt nicht auf dem Können einiger weniger fußt, sondern einen immensen Teamerfolg darstellt: „Egal ob die Eigengewächse, Aufrücken aus der zweiten Mannschaft oder die Neuzugänge – alle haben sich eingebracht und bis zuletzt an einem Strang gezogen. Das ist alles andere als selbstverständlich, zeigt aber dass Einsatzzeit nicht alles ist.“

Apropos Zugang: Mit Markus Liebscher zauberten die Burger überraschenderweise noch ein neues Gesicht hervor. Der Mann für die Mitte mag manchem noch aus seiner Zeit beim Genthiner VV vertraut sein, schlug zuletzt aber für die Gardelegener Altmark Volleys auf. Nach Ablauf der dreimonatigen Wechselsperre funktionierte es dann durch die Spielverlegung pünktlich mit dem Debüt im entscheidenden letzten Saisonauftritt. Ansonsten bleibt in den kommenden Monaten abzuwarten, inwieweit es dem Club gelingt, weitere Verstärkung zu gewinnen beziehungsweise ob es Abgänge geben wird. Fernab aller Kaffeesatzleserei lässt sich aber bereits festhalten, dass die Mannschaft in ihrem Kern zusammenbleiben wird.

Dagegen soll es im Blick auf die Seitenlinie allerdings noch einmal das eine oder andere Personalgespräch geben, wie Graßhoff durchblicken lässt: „In den vergangenen beiden Jahren waren etwa Georg Blum, Stefan Rosig oder ich in dieser Rolle etwas stärker eingebunden. Aber die Trainer-Thematik ist eine Sache, die uns in diesen Tagen noch einmal intensiv beschäftigt.“ Mehr oder weniger coachte und organisierte sich das Team nach dem Sprung in die vierte Liga selbst. Nun soll aber doch eine feste Besetzung des Übungsleiterpostens her – wenn auch nicht um jeden Preis: „Eine Trainertätigkeit in der Regionalliga bedeutet immer noch reichlich Herzblut und viel ehrenamtliches Engagement. Wir werden sehen, was sicher ergibt.“

Wer auch immer die Hauptverantwortung dann trägt, sieht sich ab September vor der großen Herausforderung, die Burger erneut zum Klassenerhalt zu führen. Denn einen Anlass, seine Demut abzulegen, hat der BVC 99 nicht. „Eine Sache muss uns klar sein: Es geht in der neuen Saison bei null los. Alle Gegner, die wir geschlagen haben, werden dann nicht mehr in der Liga sein.“ Ohnehin ist die Zusammensetzung der Regionalliga einen Monat vor Ablauf der Meldefrist derzeit recht dynamisch. Ungeklärt ist etwa noch, ob Staffelsieger TSGL Schöneiche II aufsteigen darf. Die eigene erste Mannschaft hat den Sprung in die 2. Bundesliga als Vizemeister knapp verpasst, was der Reserve dem Weg nach oben versperrt. Halbwegs sicher scheint dagegen, dass mit dem Absteiger aus der 3. Liga Nord – den CV Mitteldeutschland – sowie Landesoberliga-Aufsteiger PSV Dessau II neue Derbygegner warten. Dem abwartenden Rest muss man womöglich noch einige Tage zugestehen – oder: Zeit zum Nachdenken.

Quelle: Volksstimme vom 22.04.2022, geschrieben von Björn Richter